Nach drei Tagen in Canmore und insgesamt einer Woche in den Rocky Mountains steht heute mal wieder ein Ortswechsel an, wenn auch keine große Strecke: Wie vorgestern beschlossen legen wir heute einen Stopp in der Prärie-Metropole Calgary ein.
Die Annehmlichkeiten einer Großstadt sind wieder einmal eine ganz nette Abwechslung. Abgesehen von der Unterkunft haben wir uns für Calgary auch nicht besonders informiert oder vorbereitet. Christopher hat nur per Google in erfahrung gebracht, dass heute irgendeine Parade in Downtown stattfindet, an der auch die Spieler der Calgary Flames, des hier heimischen Hockey-Teams teilnehmen. Das wäre also unser erster Anlaufpunkt in Downtown.
In die Weiten der Prärie
Wir nutzen noch einmal die Vorzüge von Chrissys Küche für ein ausgiebiges Frühstück, verabschieden uns von Chrissy, Arnold und Solomon und sind um 10 Uhr auf dem Trans-Canada Highway nach Osten. Vor uns liegen eigentlich nur gut 100 Kilometer, aber schon kurz hinter Canmore stehen wir fast eine Stunde im Stau. Man merkt das nahe Ende der Sommerferien, auch wenn ich den Rückreiseverkehr eigentlich erst für den morgigen Feiertag (Labor Day) erwartet hätte.
Ab hier haben wir freie Fahrt und plötzlich liegen die Berge, unsere steten Begleiter seit Vancouver, hinter uns. Anders als im Westen, wo noch viele kleinere Gebirgsketten liegen, gehen die Rocky Mountains auf der Ostseite ohne Vorwarnung in die endlosen Ebenen der Prärie über, nur das schmale Band der Foothills liegt dazwischen. Nach Norden, Süden und Osten reicht der Blick bis zum Horizont. Für mich war diese gefühlt endlose Weite schon im letzten Jahr der eindrucksvollste Aspekt der nordamerikanischen Landschaft. Leider hängt heute statt der für die Prärie typischen, regelmäßigen Wolkenformationen eine dichte graue Wolkendecke über uns.
Am Eingang von Calgary kommen wir an den Sprungschanzen des Canada Olympic Parc vorbei, wo die Olympischen Winterspiele von 1988 stattfanden. Ein Stück weiter geht es dann entlang des Bow River ins Zentrum, wo wir uns mangels Parkplätzen gezwungenermaßen für die ziemlich überteuerte Tiefgarage eines Hotels an der 4th Avenue entscheiden.
Calgary Pride Parade
Schon bei den ersten Schritten im Freien zwischen Hochhäusern und Bankentürmen fällt auf, dass heute der mit Abstand kälteste Tag der bisherigen Reise ist. Wir haben maximal frostige 10°C, dazu einen eisigen Wind aus dem Norden. Der Sommer ist eben doch nur kurz hier im kontinentalen Klima.
Christophers ominöse Parade soll an der 9th Avenue vorbeigehen, wir steuern also Richtung Süden. Die Straße ist tatsächlich von Menschenmassen gesäumt und die Parade lässt keinen Zweifel, wo wir gelandet sind: Heute ist die Calgary Pride Parade 🙂
Das Parade ist wirklich eine große Sache, neben LGBT-Gruppen nehmen alle politischen Parteien, die Polizei, viele Vereine, Banken und Unternehmen mit eigenen Wagen oder Fußgruppen teil.
All ready for #yycpride!! pic.twitter.com/tFaNBUTteD
— Rachel Notley (@RachelNotley) 4. September 2016
Zu Christophers herber Enttäuschung sind die Calgary Flames leider schon an uns vorbeigezogen. Trotzdem ist die Stimmung bei der Pride Parade bestens. Das Publikum feiert bei allen vorbeiziehenden Wagen ausgelassen mit wie beim Karneval in Deutschland. Es werden Luftballons, Schilder, Werbematerial und Trillerpfeifen verteilt. Mich überrascht das ein wenig, da ich Calgary als eher konservative Stadt erwartet habe. Umso besser 🙂
Meine Favoriten der Parade sind klar die Stormtrooper mit Regenbogenfahnen, aber auch die Disney-Prinzen und die Bananentruppe bringen gute Stimmung.
Downtown Calgary
Nach der Parade sind wir alle ordentlich durchgefroren und obendrein hungrig, eine gute Gelegenheit, eine der noch fehlenden typisch kanadischen Eigenheiten anzusteuern: Tim Hortons. Die von einem Eishockey-Profi aus den 60er Jahren gegründete Restaurant-Kette war früher auf Kaffee und Donuts spezialisiert, hat inzwischen aber auch Suppen, Salate und herzhafte Snacks im Programm. In Downtown gibt es mehr Filialen als vom allgegenwärtigen Starbucks, wegen der Absperrungen durch die Parade suchen wir aber etwas, bis wir eine finden, die auch geöffnet hat.
Erster Eindruck: Sehr gut! Ich versuche mich an einem tadellosen Steak and Cheese-Panini. Nur ein wenig klein 😉 Dazu gibt es noch einen Kaffee und zum Desserts in Teig fritierte Apfelringe, die die echte Stärke des Ladens sind. Leider gibt es Tim Hortons bisher nur in Kanada und Teilen der USA.
Gewärmt und gestärkt schauen wir uns weiter in Downtown um. Wirkliche Top-Sehenswürdigkeiten gibt es hier zwar nicht und die Innenstadt ist geprägt von den typischen Banken- und Hoteltürmen. Am Nordrand von Downtown wartet aber mit dem Prince’s Island Park auf einer Insel im Bow River eine große grüne Oase vor dem Hintergrund der Skyline.
Auch in Calgary gibt es natürlich ein Chinatown, das aber statt eines Eingangstores mit einem riesigen Einkaufszentrum in Form einer Pagode auftrumpft. Bekannt ist noch der 190 Meter hohe Calgary Tower mit einem Drehrestaurant an der Spitze. Der für Besucher interessanteste Abschnitt der Innenstadt ist die Stephen Avenue, eine Fußgängerzone mit mehreren großen Malls, aber auch kleineren Läden. Zwischen den Hochhäusern ist hier auch noch ein Teil der historischen Bebauung erhalten geblieben. Heute am Sonntag hat leider alles geschlossen und wir bleiben nur kurz. Am Ende der Stephen Avenue wartet noch die Olympic Plaza vor dem historischen Rathaus, das aber vom benachbarten Municipal Building, einem Koloss in blauem Glas und Stahl, fast erdrückt wird.
Stampede Park
Der Höhepunkt im Kalender in Calgary ist ganz klar die Calgary Stampede, die jedes Jahr Anfang Juli stattfindet. Diese Mischung aus Rodeo, Festival und Landwirtschaftsausstellung findet seit 1886 statt, zieht bis zu einer Million Besucher in die Stadt und brüstet sich ganz unbescheiden als „The Greatest Outdoor Show on Earth“. Höhepunkt neben Paraden und einem riesigen Pancake-Frühstück ist das Rodeo, das größte seiner Art überhaupt.
Der Großteil der Veranstaltungen findet im Stampede Park südlich von Downtown statt. Neben einer Rennstrecke mit Tribünen, Ausstellungshallen und einem Casino findet sich hier auch der Saddledome, das Stadion der Calgary Flames mit einem Dach in Form eines Pferdesattels. Die Dimensionen sind schon nach einem kurzen Blick ungreifbar.
Es ist inzwischen kurz vor 16 Uhr und wir beratschlagen, was wir mit dem restlichen Tag anfangen. Als weiteres Ziel ist mir noch das Heritage Park Historical Village ins Auge gefallen, ein Freilichtmuseum mit historischen Gebäuden aus dem Zentrum von Calgary, die abtransportiert wurden, bevor die Innenstadt im großen Stil modernisiert wurde. Das wird aber auf Morgen verschoben, wir sind schon wieder reichlich durchgefroren. Es geht also Richtung Hotel.
Das wäre heute das Days Inn Calgary South, hauptsächlich gebucht wegen der Lage nahe des Zentrums und wegen der guten Erfahrung mit Days Inn in Golden. Leider ist hier ein wenig die Zeit stehen geblieben, scheinbar irgendwann in den frühen 80ern. Zumindest sagen das die Aquarellgemälde und fadenscheinigen Tapeten an den Wänden der düsteren Lobby. Auch der Poolbereich sieht nicht wirklich einladend aus, außerdem zieht der Chlorgeruch bis zur Rezeption. Egal, die Zimmer sind relativ neu renoviert und ich nutze den restlichen Nachmittag für ein paar Fortschritte bei der Urlaubslektüre.
Erstes Fazit zu Calgary: Schöne Stadt, sehr sauber, erstaunlich grün und auch die Lage in der Prärie vor dem Hintergrund der Rocky Mountains ist ziemlich beneidenswert. Auch die Stimmung bei der Pride Parade war locker und offen. Allerdings fehlt hier das spezielle Flair etwas, das zum Beispiel Vancouver so besonders gemacht hat. Aber um ehrlich zu sein: Es wäre auch gut möglich, dass wir heute am Sonntag und in der Kälte einfach zu unmotiviert zum Suchen waren 😉
Canmore nach Calgary: | 68,4 Meilen / 110 Kilometer |